Digitales & Netzpolitik

Eng verknüpft mit der Verlagerung des gesamten gesellschaftlichen Lebens in die eigenen vier Wände ist die Turbodigitalisierung unseres Alltags. So viele Menschen wie noch nie befinden sich im Home-Office, Schule findet über das Internet statt, und wer soziale Kontakte außerhalb des eigenen Haushalts pflegen möchte, landet in einer Videokonferenz. Auf einmal ist alles digital. 

Corona ist ein Stresstest für unsere digitale Welt. Ruckelnde Videokonferenzen, gedrosselte Streamingqualität und die Überforderung mit neuer Software sind ganz offensichtliche Beispiele dafür. Nichtsdestotrotz zeigt sich: Überraschend Vieles funktioniert überraschend gut. Mit viel Kreativität und Fleiß werden bestehende Arbeitsprozesse neu gestaltet. Die Erfahrungen, die wir heute sammeln, werden auch künftig den Arbeits- und Schulalltag digitaler gestalten – verbunden mit Vorteilen für alle Seiten.

Klar ist aber auch: Digitale Werkzeuge sind schön und gut, aber sie können nicht alles ersetzen. Gerade soziale Kontakte sind besonders betroffen. Außerdem muss ein ausreichender Schutz der persönlichen Daten und Grundrechte gewährleistet werden – Menschen ohne die nötigen Sachkenntnisse von Computern und Netzwerken sind dabei besonders gefährdet.

Corona zeigt uns, …

…dass wir den Netzausbau schneller und stärker vorantreiben müssen. 

Schon längst hätten alle Haushalte ans Glasfasernetz angeschlossen sein müssen. In der Corona-Krise zeigt sich, was wir und was die Telekommunikationsanbieter über Jahrzehnte versäumt haben. Im internationalen Vergleich belegt Deutschland regelmäßig letzte Plätze, was den Netzausbau angeht. Funklöcher und abbrechende Verbindungen gehören auch 2020 immer noch zum Alltag. Besonderes Nadelöhr ist die letzte Meile. Während das sogenannte Backbone-Netz vollständig auf Glasfaser umgestellt wurde, ist auf den letzten hundert Metern nach wie vor das Kupferkabel die vorherrschende Technologie. Teilweise sind immer noch ganze Dörfer oder Straßenzüge nur über vor Jahrzehnten verlegten Telefonleitungen ans Internet angebunden. Behelfsmäßig wird hier auf das ebenfalls überlastete Mobilfunknetz zurückgegriffen. Dadurch sind wir in Deutschland im Nachteil, wenn jetzt plötzlich das halbe Leben übers Internet stattfinden soll.

In den größeren Städten wird versucht, mit sogenannten Brückentechnologien wie ADSL oder VDSL das letzte aus dem Kupfernetz herauszupressen. Jedoch funktioniert dies einerseits nur in die Download-Richtung und andererseits ist es gar keine Brückentechnologie: Es werden neue Geräte aufgestellt und installiert, die keine Anwendung im künftigen Glasfasernetz haben werden. Besonders tragisch: Uns Kund:innen erreichen zwar etwas höhere Download-Geschwindigkeiten, beim Upload ändert sich hingegen nichts. Wir werden so zu Konsument:innen degradiert, die Bereitstellung eigener Inhalte oder das Betreiben eigener Server ist bei Upload-Geschwindigkeiten um 8-12 Mbit/s jedoch undenkbar. Zum Vergleich: Mit einer Glasfaseranbindung könnte mindestens das Hundertfache der Geschwindigkeit erreicht werden. 

Größter Bremser beim Glasfaserausbau ist ausgerechnet die Telekom selbst. Hier ist man der Ansicht, dass Kupferkabel noch über 10 Jahre ausreichen werden, da sowohl auf Seite der Unternehmen als auch auf Seiten der Privatkund:innen gar keine höheren Bedarfe bestünden. Wie falsch diese Analyse ist, zeigt der internationale Vergleich: Wenn höhere Geschwindigkeiten seitens der Provider zu akzeptablen Preisen angeboten werden, werden sie auch genutzt. Die Motivation insbesondere der Telekom ist jedoch klar: Der höchste Gewinn lässt sich als Quasi-Monopolist am besten durch das Verschleppen von Investitionen erreichen.

Vor fast 10 Jahren wurden die Kosten für einen vollständigen Glasfaserausbau in Deutschland im Auftrag der Telekom abgeschätzt: einmalig 80 Milliarden Euro. Passiert ist seitdem wenig bis nichts. Es ist an der Zeit diese Investition nun nachzuholen. Die Quittung erhalten wir jetzt inmitten der Corona-Krise: Die letzte Meile ist überlastet, das Home-Office ruckelt und Telefonkonferenzen werden ungeplant abgebrochen. 

Die Telekommunikationsanbieter haben ihren Auftrag versäumt. Bis zum Jahr 2022 muss durch staatliche Intervention jeder Haushalt per Fibre-to-the-Home (FTTH) ans Glasfasernetz angeschlossen sein.

…dass wir an den Grundprinzipien wie der Netzneutralität festhalten müssen.

Solange wir in unseren Netzen mit begrenzten Ressourcen zu kämpfen haben, wird es eine Diskussion darüber geben, ob bestimmte Daten wichtiger sind als andere und deswegen schneller übertragen werden müssen. Dies stünde jedoch im krassen Widerspruch zur Netzneutralität – im Widerspruch dazu, dass alle Datenpakete gleich behandelt werden, unabhängig davon wer sendet und wer empfängt, unabhängig wann warum und mit welchem Ziel.

Das Einschreiten vom EU-Kommissar Thierry Breton steht diesem Prinzip entgegen bzw. streift es auf Grund der Freiwilligkeit haarscharf. Er hat „datenintensive“ Dienste wie Netflix und Youtube aufgefordert ihre Bandbreiten zu drosseln, um die Netze zu schonen bzw. andere Daten zu bevorzugen. Was im ersten Moment sinnvoll erscheint, ist beim genaueren Hinschauen jedoch sehr kritisch zu betrachten. Von einigen Netzpolitiker:innen wird es gar als blinder Aktivismus bezeichnet.

Warum bringt diese Maßnahme also nichts und warum machen die datenintensive Dienste trotzdem mit? Video-on-Demand-Dienste passen sich den Möglichkeiten von uns Kund:innen an: Haben wir eine gute Netzanbindung, bekommen wir eine hohe Qualität. Sind wir mit mobilen Daten unterwegs, das Netz schlecht ausgebaut oder gerade überlastet, wird die Qualität entsprechend reduziert: Mit oder ohne Corona-Drosselung. Die datenintensiven Dienste wollen natürlich einerseits guten Willen zeigen, obwohl sie faktisch nicht viel tun müssen. Andererseits öffnet es die Diskussion nach der Krise, ob es nicht sinnvoll wäre langfristig über die Aufhebung der Netzneutralität zu diskutieren. Ein Ansinnen das Netflix & Co. bereits in der Vergangenheit hatten – um ihre eigene Position am Markt zu stärken.

Auch in Zeiten von Corona müssen alle Daten gleich behandelt werden, es darf insbesondere keine bezahlte Priorisierung bestimmter Daten geben. Einerseits bringt dies auf der letzten Meile sowieso nur wenig, und andererseits wäre es ein Graus für den Datenschutz und die Freiheit des Marktes. Denn um eine Priorisierung vorzunehmen, müssen Inhalte sehr genau analysiert werden und neue oder kleine Anbieter können sich in der Regel keine Priorisierungen leisten.

…dass wir digitales anonymes Geld brauchen.

Anonymität im Netz ist einer der größten vorherrschenden digitalen Irrglauben. Wenn alles gesellschaftliche Leben online stattfindet, wird das Problem des gläsernen Menschen größer denn je. In Pandemie-Zeiten ist Bargeld ein Risikofaktor geworden, da es durch viele Hände geht und Viren übertragen kann. Bargeld ist jedoch zur Zeit die einzige Möglichkeit anonym zu bezahlen. Wer mit Karte zahlt oder online einkauft, zahlt bestenfalls pseudonym: mit einer eindeutigen IBAN, einem eindeutigen Paypal-Namen oder einem eindeutigen Bitcoin-Wallet. Der zugehörige Händler kennt nicht gleich bei allen Verfahren den Namen der zugehörige Person, sehr wohl aber einen eindeutigen Identifier. Dieser ist sogar sehr viel wertvoller, da Namen gar nicht besonders eindeutig sind. 

Anhand dieser ID werden wiederkehrende Kund:innen erkannt, Profile angelegt und über Mustererkennung weitere Rückschlüsse gezogen. Neben den offensichtlichen Dingen („Was wird wann und wo eingekauft?“) sind weitere Schlussfolgerungen möglich – bis hin zu dem Punkt, an dem Amazon vor einer schwangeren Frau von ihrer Schwangerschaft weiß und entsprechende Werbung ausliefert. Dem zugehörigen Algorithmus ist dabei egal, welcher Name dazu gehört, sein Ziel ist die optimale Platzierung von Werbung. Das lässt sich auch noch weiterspinnen: Wer Zigaretten, Alkohol und Cola kauft, könnte ja auch einen höheren Beitrag bei der Krankenkasse zahlen? Die Händler sind dabei auch nicht die einzigen, die aus den Daten Rückschlüsse ziehen können, Gleiches gilt für die Zahlungsdienstleister. Im Gegensatz zu den Händlern können diese noch größere Profile führen und dabei sehr häufig auch direkt auf den Namen der beobachteten Person referenzieren.

Ähnliche Probleme treten auch an anderer Stelle auf: Aus den digitalen Tickets im ÖPNV, die immer mit der gleichen App-ID gekauft werden, können ganze Bewegungsprofile erstellt werden. Dieses Problem auf der einen Seite, wird auf der anderen Seite dadurch konterkariert, dass es gar keine Möglichkeit zum digitalen Bezahlen gibt oder keine digitalen Ticketsysteme existieren, sodass in einigen Gemeinden der ÖPNV kostenlos fährt oder man trotz Infektionsschutzmaßnahmen weiterhin auf Bargeld angewiesen ist. Es ist Zeit für ein staatlich anerkanntes anonymes elektronisches Zahlungsmittel.

…dass die Corona-App nur erfolgreich wird, wenn wir Daten nicht zentral speichern und die Nutzung freiwillig ist.

Im krassen Gegensatz zu allen Anonymisierungs- und Datenschutzbestrebungen steht die Einführung einer sogenannten Corona-App zum Contact-Tracing. Ziel ist die Erfassung wann und wo ein menschlicher Kontakt verbunden mit einer potentiellen Virusübertragung stattgefunden hat. Im Falle einer festgestellten Infektion kann so zurückverfolgt werden, wer wen angesteckt hat und welche weiteren Personen infiziert hat. Infektionsketten lassen sich somit nachvollziehen und durchbrechen.

Neben diesen positiven und wünschenswerten Effekten, birgt eine solche App aber auch Gefahren: Zunächst einmal wird selbst im Minimal-Betrieb ein großer Anteil nicht anonymisierbarer, sensibler Daten erfasst: Kontakte, Standorte bzw. ganze Bewegungsprofile können abgeleitet werden. Wo viele interessante Daten sind, sind auch Begehrlichkeiten – entweder von offizieller Seite oder aus der kriminellen Szene. Wie an anderer Stelle während der Corona-Krise wir hier Grundrechte ein: das ist legitim, aber deswegen sind starke Auflagen notwendig.

Höchste Sicherheitsstandards sind vonnöten, das heißt der Quellcode muss offengelegt werden und durch unabhängige Audits fortlaufend überprüft werden. Im Weiteren müssen so wenig Daten wie möglich erfasst werden, so ist die Erfassung von Standortdaten bspw. nicht notwendig, um einen menschlichen Kontakt festzustellen. Der Einsatz der App muss in einem eng abgesteckten zeitlichen Rahmen erfolgen – begrenzt auf den medizinisch zu rechtfertigenden Zeitraum. Eine automatische Abschaltung jeglicher Datenerfassung danach ist selbstverständlich.

Neben dem Contact-Tracing können Apps in der Corona-Krise noch für andere Anwendungsfälle, wie bspw. zur epidemiologischen Forschung eingesetzt werden. Jede zusätzliche Funktionalität birgt zusätzliche Angriffsvektoren und sollte deswegen von vorneherein in separate Applikationen geplant werden.

Ein großer Streitpunkt in der öffentlichen Debatte ist die Frage der Datenhaltung: Soll diese zentral oder dezentral erfolgen? Im Falle des zentralen Ansatzes werden alle bisherigen Kontakte einer infizierten Person zentral erfasst und über die zentrale Instanz informiert, dass sie in Kontakt waren. Beim dezentralen Ansatz hingegen muss jedes Gerät überprüfen, ob in den eigenen Kontakten eine infizierte Person war. Der Unterschied ist einfach: Beim dezentralen Ansatz werden nur die infizierten Personen zentral erfasst, beim zentralen Ansatz auch die Kontakte der infizierten. Es ist offensichtlich, dass die datensparsamere dezentrale Variante zu bevorzugen ist.

Abschließend muss die die Benutzung einer solchen Applikation freiwillig sein. Dies ist gleichzeitig ein Qualitätssiegel: Eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung wird nur erreicht, wenn wirklich hohe Sicherheitsstandards eingehalten werden. Eine Benachteiligung bei Nicht-Nutzung darf es nicht geben.

…dass wir mit OpenSource besser für die Krise gerüstet gewesen wären.

Der sprunghafte Anstieg der Nutzung von Online-Diensten stellt nicht nur die Netze vor Herausforderungen, sondern IT-Systeme in ihrer Gesamtheit. Die meisten Unternehmen waren nicht darauf eingestellt, den Großteil ihrer Belegschaft von heute auf morgen ins Home-Office zu schicken. Kurzfristig die entsprechenden Lizenzen zu beschaffen, stellt Unternehmen vor große Herausforderungen. Dabei ergibt das Konzept von Einzellizenzen bei Software besonders wenig Sinn. Schließlich gibt es fast nur Entwicklungs- und Weiterentwicklungskosten. Die Gesamtkosten für Software sind nahezu unabhängig von der verkauften Stückzahl – ein Unterschied zu den meisten anderen Produkten. 

Open Source als quelloffene Alternative ruft nach wie vor Abwehrreaktionen auf den Schirm: „Wenn der Code öffentlich einsehbar ist, ist er nicht sicher“, oder „Wer soll das denn programmieren, wenn das nichts kostet?“ Letztlich sind dies klassische Irrtümer. Zum einen ist eine Software gerade dann sicher, wenn ihr Code öffentlich überprüft werden kann, dies auch getan wird und am Ende nur die zur Verschlüsselung verwendeten Codes geheim sind. Zum anderen ist Open Source nicht kostenlos – natürlich müssen auch die Entwickler:innen dieser Software ein Einkommen haben. Um die Einkommensfrage zu klären, müssen wir jedoch erst einmal betrachten, dass die meiste Software nicht für Endanwender:innen programmiert wird: Viele Softwarelösungen sind sehr individuell und in großen Teilen neu programmiert, zum Teil auf Basis bestehender Open-Source-Lösungen – so sind bspw. viele Programmiersprachen oder zumindest die zugehörigen Libraries unter Open-Source-Lizenzen publiziert.

Es sollte selbstverständlich sein, dass staatliche Institutionen – insbesondere auch Universitäten, Schulen und Unternehmen in öffentlicher Hand – ihre individuellen Software-Entwicklungen unter Open-Source-Lizenzen zur Verfügung stellen. Bekannt ist diese Forderung unter dem Slogan: „Public Money? Public Code!“ Zum einen können dadurch auf staatlicher Seite direkt Kosten gespart werden, da die parallele Entwicklung einer Lernplattform in 16 Bundesländern fast von ganz alleine zusammengeführt wird. Zum anderen steigern sich Qualität und Sicherheit für viele Produkte, da die Anwender:innen an der Entwicklung beteiligt werden können.

Neben Aufträgen der öffentlichen Hand besteht auch für große IT-Unternehmen ein Anreiz ihre Software Open-Source entwickeln zu lassen. Schon heute investieren Microsoft, IBM oder Google massenhaft in Open-Source-Projekte: Einerseits garantieren sie durch offene Standards Interoperabilität, gewinnen durch höhere Sicherheitsstandards Vertrauen bei Kund:innen und profitieren selbst vom weltweit wachsenden Softwarepool.

Wie hätte Open-Source uns nun aber besser durch die Krise gebracht? Nur mit Open-Source-Produkten können Datenschutz und Datensouveränität vollständig garantiert werden. Die Hals-Über-Kopf-Umstellung ganzer IT-Abteilungen auf Clouddienste marketingaggressiver US-Anbieter sind das genaue Gegenteil davon. Hier kann sich nur auf das Wort der Anbieter verlassen werden. Ein Wort, das nicht viel zählt, wenn Gesetze wie der US-Cloud-Act die Anbieter zur Herausgabe von Daten zwingt.

…dass viel zu viele Menschen viel zu wenig Ahnung von Digitalisierung haben.

VPN, PGP, IPv6, … alles Begriffe – besser gesagt Abkürzungen, die im Home-Office auf einmal Alltag sind. Die IT-Abteilung kann nicht mehr spontan vorbeikommen, um den Rechner einmal an und wieder auszuschalten, und alle sind darauf angewiesen, ihre IT-Probleme selbst zu lösen. Das klappt eher schlecht als recht, zuerst bleibt die IT-Sicherheit auf der Strecke, dann der Datenschutz und im Weiteren wird viel Zeit damit verschwendet, ineffiziente IT-Prozesse gebetsmühlenartig fortzusetzen.

Die digitale Kompetenz ist für die Bewältigung des beruflichen wie privaten Alltags inzwischen ähnlich wichtig wie die Grundlagen der Mathematik oder die Beherrschung einer Fremdsprache. Man überlebt zwar ohne sie, aber wir wären besser dran, wenn die Sensibilisierung für Digitalisierung größer wäre. Was der Besitz von Maschinen für die Bourgeoisie im 19. Jahrhundert war, sind Daten & IT-Kompetenz für die Internetgiganten heute.

Um die digitale Affinität dauerhaft zu erhöhen, müssen wir bereits in der Schule die Grundlagen legen und die Schüler:innen mit allgemeinen IT- & Programmierkenntnisse ausstatten. Das muss sich entsprechend in höherer Bildung und verpflichtenden Weiterbildungsprogrammen im Gesamtkonzept des lebenslangen Lernens fortsetzen. Hauptpunkt darf dabei nie die Ausbildung an einer bestimmten Software sein, sondern es muss auf das Gesamtverständnis von IT im Allgemeinen abgezielt werden: Wie helfe ich mir selbst? Wie lese ich eine Dokumentation? Wie kann ich Software testen & darin herumprobieren, ohne etwas kaputt zu machen?

Darüber hinaus müssen die Grundsätze der Datensparsamkeit viel stärker in die Köpfe der Menschen Einzug finden: Was sind relevante (personenbezogene) Daten, warum sind diese schützenswert und wie könnten sie gegebenenfalls missbraucht werden? 

…dass wir endlich unsere Verwaltung digitalisieren müssen!

Richtigerweise haben die Behörden zur Verminderung physischer menschlicher Kontakte ihre Präsenzzeiten eingestellt und die Mitarbeiter:innen ins Home-Office geschickt. Die Verfügbarkeit von Behördendiensten, wie bspw. die Ummeldung nach einem Umzug, ist dadurch jedoch stärker eingeschränkt worden als es mit einer digitalisierten Verwaltung notwendig gewesen wäre. Jedoch sind die viele Behördengänge weiterhin nur persönlich, per Post oder als „Hightech-Variante“ via Fax zu erledigen. Der digitale BAföG-Antrag ist dabei genauso utopisch wie das digitale Sammeln von Unterschriften für eine kommunale Petition. 

In der Vergangenheit hat man mit dem elektronischen Personalausweis (eID) und De-Mail zwar Versuche in die Richtung einer digitalen Verwaltung unternommen, die aktuellen Nutzer:innen-Zahlen geben jedoch nur die Sicherheit und Benutzbarkeit quantitativ wieder. So könnte heute zwar bereits ein rein digitaler BAföG-Antrag gestellt werden, aber die Hürden dafür sind so hoch, dass die meisten Studierenden doch wieder zum Briefumschlag greifen. 

Wie wichtig digitale Antragsverfahren wären, zeigen die Soforthilfeprogramme bspw. im Land Sachsen: Über die Sächsische Aufbaubank sollten digitale Anträge gestellt werden. Jedoch war das Verfahren zu neu und ungetestet, so dass die Unternehmen von selbst wieder nach klassischen Formblättern zur Antragstellung verlangten.

Neben der Anonymität im Netz brauchen wir auch klar definierten Möglichkeiten der digitalen Identifikation ohne eine Überidentifizierung zu erzeugen. Wenn ich heute im Einzelhandel einkaufe, muss ich mich nicht ausweisen – es besteht also keine Notwendigkeit dies im Onlinehandel einzuführen. 

Letztlich sind die technischen Anforderungen an eine elektronische Identfikationsmöglichkeit ähnlich wie für die Corona-App: Open-Source für maximale Sicherheit und Transparenz mit externen Audits, klar abgesteckter Einsatzrahmen, transparente Darstellung von Risiken, Freiwilligkeit, Datensparsamkeit usw. Hinzu kommt der Aspekt der Einsetzbarkeit: Wenn niemand eine elektronische Identität sehen möchte, wieso sollte ich sie dann nutzen? Anfangen könnten die staatlichen Institutionen, bspw. um Anträge digital einzureichen.

…dass wir mehr Digitalisierung können als wir dachten – und wie wir sie noch besser machen können!

Manchmal braucht es nur einen kleinen Schubs und dann kann man schwimmen. Ungefähr so könnte man Corona und die Digitalisierung betrachten. Trotz aller kleinen Problemchen und Vorbehalte hört man über das digitale Home-Office und die digitale Lehre doch ziemlich häufig: „Klappt doch eigentlich ganz gut.“ Ganz gut ist natürlich nicht optimal, aber es ist ein Anfang. 

Corona könnte also tatsächlich einen Digitalisierungsschub für die Zukunft danach bedeuten: Die Missstände, die jetzt am digitalen Arbeits- oder Lernplatz auffallen, werden mit höherer Priorisierung beseitigt – kurzfristig wie langfristig. Viele Menschen, die bislang aus Angst und Unsicherheit auf digitale Werkzeuge verzichtet haben, haben jetzt eine positive Grunderfahrung und sind aufgeschlossener gegenüber künftigen Werkzeugen. 

Durch den großen Blumenstrauß an digitalen – positiven wie negativen – Erfahrungen, die während der Ausgangsbeschränkungen bestanden, sind viele Probleme der Digitalisierung nun stärker ins Bewusstsein gerückt. Mehr Politiker:innen werden nun verstehen, dass jedes Kind ab einem gewissen Alter Zugriff auf ein eigenes arbeitsfähiges digitales Endgerät haben muss und dass wir endlich mit allen Mitteln ein flächendeckendes Glasfasernetz für alle Haushalte etablieren müssen.

Das Papier #coronazeigtuns: Digitales & Netzpolitik gibt es hier als PDF-Datei zum Herunterladen.